Viet Nam
Eine Reise des Schmerzes und Zurückkommens

 

Viet Nam – Eine Reise des Schmerzes und Zurückkommens

 

Für Mẹ Biên, Chị Thu & Em Đức
von Phu (Ha Phuong Nguyen)

 

Vor der Reise

Ich habe Angst.
Mẹ Biên[1] erzählt mir, dass sie plant nach Việt Nam zu fliegen.
In mir zieht sich direkt alles zusammen. Daraufhin fragt sie mich, ob ich mitfliegen möchte. Ich zögere zu Beginn und sage ihr, dass ich noch Bedenkzeit brauche. Ich glaube sie weiß, dass ich Angst habe. In Wirklichkeit hatte ich mir viele Gedanken gemacht und habe versucht die Tatsache, wieder nach Việt Nam zu gehen, zu verdrängen. Mẹ Biên weiß das und sie ist traurig deswegen. Sie zeigt mir aber ihr Verständnis und gibt mir meine Zeit.
Jedes Mal, wenn ich zu Hause zu Besuch bin, möchte sie wissen, wie ich mich nun entschieden habe. Meine Antwort bleibt gleich: „Ich weiß es nicht.“ Meinem Bruder jedoch sage ich, dass ich nicht mitfahren möchte und dass er es Mama nicht erzählen soll.

Ich fange an viel nachzudenken und ärgere mich über meine Unentschlossenheit nach Việt Nam zu gehen. Ich beneide meine weiß-deutschen Freund*innen dafür, dass sie nicht unter der Fragestellung ihre Verwandten zu besuchen in keinen inneren Zwiespalt gelangen. Für die meisten ist es Normalität ihre Großeltern an den Wochenenden oder über die Feiertage zu besuchen und ein enges Verhältnis zu ihren Cousinen zu haben. Genauso habe ich immer meine frühere viet-deutsche Freundin beneidet, dass sie so gut vietnamesisch sprach und auch diejenigen meiner Generation, die sich als Teil der vietnamesischen Community sehen und ihn jeder Kontakt mit ihrer vietnamesischen Seite leicht fiel. Ich erkannte, dass mein Leben weder wie das meiner weißen Freund*innen, noch wie das meiner viet-deutschen Freundin war.

Als ich das nächste Mal bei meiner Mama zu Besuch war, fragte sie mich erneut. Diesmal ging sie in die Offensive und wollte den Grund wissen, warum mir die Entscheidung so schwerfällt.
„Mẹ không muốn ép con, nhưng mẹ cảm thấy con không thích về cùng[2].“
Ich antworte ihr: „Natürlich, con thấy mẹ ép con. Mẹ bảo là con có thời gian để suy nghĩ, nhưng mỗi khi con về nhà, mẹ cứ hỏi con.“
Daraufhin verstummt sie. Ich habe Recht, aber mein Ton ist wie so oft gereizt. Sie versucht mich zu ermutigen indem sie mir versichert, dass ich keine Angst haben muss. Sie denkt nämlich, dass ich Angst habe, weil ich die Sprache nicht gut spreche und dass ich denke, dass ich von meinen Verwandten nicht genauso ernst genommen werde wie Chị Thu[3]. Ich fühle mich ertappt, denn es stimmt. Daraufhin fange ich an schrecklich zu weinen, weil ich überfordert bin und mich in einem Zwiespalt befinde, der meine emotionalen Belastungsgrenzen nicht mehr aushält. Ich sage zu ihr: „Ja, con immer sợ về Việt Nam.[4]“ In diesem Moment treffen unsere Blicke aufeinander – ihrer erstarrt.
„Con cũng thích về việt nam. Nhưng mà người ta ở Việt Nam không hiểu vấn đề của người như con. Con sinh ra ở Đức, deswegen con phải học tiếng, con phải hiểu Kultur ở đây. Mọi người ở Việt nam không có Ahnung cuộc sống của các con và Mẹ Bố ở Đức thế nào. Nhưng con cũng thích về Việt Nam mà, con thích học tiếng und so. Tại con cũng là người chau …“[5] – „Ừ, con là người Việt Nam mà!“, antworte sie direkt mit einer Selbstverständlichkeit.
Es fühlt sich komisch an, da ich mich selber nicht als vietnamesische Person sehe.  Gleichzeitig ist es ein gutes Gefühl, da Mẹ Biên mich wieder an diese Seite von mir erinnert.

Ich hatte das Bedürfnis meine Ängste und Sorgen mit weiteren Menschen teilen zu wollen und beschloss daraufhin vor dem Abflug einige Gespräche zu führen. Als wir 2018 nach Việt Nam geflogen sind, waren Em Đức[6], Chị Thu und ich für einige Tage in Sài Gòn. Es war unser erster gemeinsamer Ausflug als Geschwister ohne unsere Eltern. Damals wollte ich ein Gespräch mit den beiden führen und wissen, was ihre Gedanken, Gefühle und Ängste zu unserem Việt Nam Aufenthalt seien. Ich erinnere mich daran, wie ich mich dagegen entschied das Gespräch führen zu wollen, weil ich mich vor einem intimen Austausch fürchtete.
Chi Thu und ich trafen uns dieses Mal in einem Café. Wir redeten viel, da wir uns eine Weile nicht gesehen haben. Ich öffnete mich ihr gegenüber und sie hörte mir aufmerksam zu. Sie konnte meine Ängste nachvollziehen, da sie selber mit Unsicherheiten zu kämpfen hatte. Sie vertraute mir an, dass auch sie Angst habe unsere Verwandten zu besuchen und davor, von ihnen in ihrer Rolle als Mutter verurteilt und unter die Lupe genommen zu werden.

Mit Em Đức hatte ich auch ein kurzes, aber intimes Gespräch:
„Wie fühlst du dich nach Việt Nam zu gehen?“, frage ich ihn.
„Ich weiß nicht, komisch. Ist halt so.“ – „Hm, ja.“
„Ich kann halt nicht die Sprache.“
Ich denke: „Ja, das ist ein Eigengeständnis. Danke fürs Teilen, Em.“ Zu guter Letzt suchte ich ein Gespräch mit meiner engsten Freundin, welche chinesisch-deutsch ist. Sie kannte und verstand meine Identitätsfragen und Lebensrealitäten, sodass ich mich ihr anvertrauen konnte. Sie erzählte, dass sie immer schlecht gelaunt sei, bevor sie nach Shanghai fliegt. Insgesamt war ich erleichtert, dass es meinen Geschwistern und anderen ähnlich wie mir erging. So konnte ich mit einem sichereren Gefühl der anstehenden Reise begegnen.

Die Reise beginnt

Dieses Jahr war alles anders. Wir flogen nicht wie gewohnt mit Việt Nam Airlines, wo wir den Luxus von einem 12h-Direkt-Flug und nächtlichen Ramen-Nudeln genießen konnten. Da das Geld dieses Mal knapper war, mussten wir einen Flug mit Umsteigen buchen und die Reise dauerte ein ganzes Stück länger. Außerdem flogen wir zu einem ganz ungewohnten Zeitpunkt nach Việt Nam: statt 6 Wochen im Sommer verbrachten wir 3 Februar-Wochen in Việt Nam. Deshalb sahen wir diesmal auch keine anderen vietnamesischen Familien, die ebenso sieben Koffer und Pakete am Bahnhof im Gepäck hatten.

Der Geruch am Sân bay Nội Bài[7] war mir bekannt und doch roch er dieses Mal ein bisschen anders. Bố Long[8] holte uns wie gewohnt vom Flughafen ab und wir stiegen ins Taxi.  In unserem Haus in Hà Nội angekommen, fühle ich mich komisch. Bà Nội[9] ist auch da. „Cháu chào Bà“[10], sagen Em Đức und ich. Es herrschte eine komische Atmosphäre im Raum, die von Unsicherheit und unangenehmer Spannung sprach. Verunsichert setzten wir beide uns aufs Sofa. Nebenbei lief der Fernseher. Bố Long setzte sich zu uns und machte genervt einen Kommentar: „Ok,để bố bật  phim tây.“[11]
Diese Aussage von ihm traf unerwartet einen tiefen Punkt in mir.
Ich fragte mich, wie er gerade darauf kam. Ich hätte doch gar nichts gesagt. Sein Ton war so abfallend und subtil frustriert, dass er mich in dem Moment verletzte.

Angekommen

Unser Haus liegt direkt an einer großen Kreuzung und ist an einem städtischen Fluss gelegen. Der Name unseres Stadtteils lautet „Cầu Giấy“, es liegt nahe am Stadtzentrum. Besonders auffallend an dieser Großstadt sind die lauten Geräusche, die aus den unterschiedlichsten Ecken kommen. Motorräder, darunter grüne „Grab“ Motorräder und vereinzelte Taxis zeichnen nicht nur das Straßenbild der Stadt aus, sondern auch die Verkehrsgeräusche erzeugen das Gefühl einer lebendigen Stadt, die selbst abends nicht ruhen mag. Als Bà Nội und Cô Chi[12] unser Haus am Abend verlassen, beginnt die Zeit langsam dahin zu fließen.

Am ersten Abend liefen wir die Straßen unserer Gegend entlang und erkundeten die Umgebung. Es schien als hätte sich nichts verändert. Es war laut: Die Straßen waren voll mit Motorrädern, alle drei Sekunden hupte es, auf den Fußwegen saßen Männer in ihren Anzügen und tranken Tee oder schauten aufs Handy und warteten die Zeit bis zum nächsten Schichtbeginn ab, aus den Essensständen kommt der Geruch von Öl und gebratenem Essen. Die Straße ist voll von Möglichkeiten, sich Fast Food oder eine kurze Shopping-Tour zu gönnen.

Kurze Zeit später waren Mẹ Biên, Em Đức und ich schon in Phủ Lý, einer Kleinstadt, in der die meisten meiner Verwandten wohnen. Auf den ersten Blick schien auch hier sich nichts verändert zu haben. Als wir jedoch an dem großen blauen Haus von Bác Xuyến[13] ankommen sind, wird gegenüber ein großes Arzthaus gebaut. Es war beeindruckend und zu unserem Erstaunen war es das Haus meiner jüngsten Tante Dì Tuyên und ihrem Mann Chú Xuân.
Der erste Tag war ereignisreich: alle meine Tanten kamen, um uns zu sehen. Meine Mama freute sich sehr, ihre Geschwister und ihre Mama wieder sehen zu können. Sie saßen beieinander und unterhielten sich prächtig. Als ich in das Zimmer trat, bat meine Mama mich, mich dazu zu setzen. Ich zögerte zu Beginn, doch setzte mich letztendlich doch dazu. Meine Tanten fragten mich, was ich in meinem Leben mache und ob ich studieren wollen würde. Ich erklärte ihnen, dass ich aktuell nicht studiere. Daraufhin redeten alle auf mich ein. Sie machten mir alle ungefragt Vorschläge. „Willst du nicht Lehrer*in werden?“ fragt mich Dì Tuyên. „Oder doch bác sĩ[14], so wie ich?“ Alle Anwesenden schauten mich an. Ich verneinte alle Vorschläge und fühlte mich ziemlich bedrängt. Meine Mama stieg ebenfalls in die Diskussion ein: „Du kannst auch später nach Viet Nam gehen und hier Deutsch und Englisch unterrichten. Damit würdest du viel Geld verdienen!“ Ganz verlegen sitze ich vor ihnen und fühle mich beobachtet. Bis meine Cousine Em Tuyết mir am Ende zur Seite sprang und plädierte, dass ich selber entscheide, welchen Beruf und welchen Weg ich einschlage.

Mit meinen Cousinen Tuyết und Bi, verbrachten mein Bruder und ich viel Zeit. Meine älteste Cousine Chị Hiền begleitete uns und organisierte für uns Tagespläne. Die Sprachbarrieren und -lücken trennen uns oft voneinander, aber wir spielten gemeinsam Uno, hörten Musik, waren jeden Tag bummeln und aßen uns durch alle vietnamesischen Outdoor-Essen. Bei Jolibee, der philippinischen Fastfood-Kette, tauschten Tuyết und ich unsere Instagram-Konten miteinander.

Als wir am gleichen Tag noch für Em Đức nach Klamotten schauten, traute ich mich, sie von mir aus anzusprechen und sie zu fragen, woher sie ihre schöne Handyhülle habe. Sie nannte mir das vietnamesische korrekte Wort dafür. Ich glaube sie sah in dem Moment meine Unsicherheit, worauf sie vorschlug mich auf ihrem Motorrad zu einem Laden hinzufahren. Sie wirkte so erwachsen und selbstständig auf mich.

Essen verbindet

Insgesamt fällt mir es mir schwer vietnamesisch zu sprechen, aber mit meinen Cousinen konnten wir uns auch teilweise auf Englisch verständigen oder über unsere gemeinsamen Aktivitäten. Durch das viele Essen und meiner Liebe zum vietnamesischen Essen konnte ich die Namen der Gerichte nochmals lernen und verfestigen: Da gab es meine Lieblings-Nudelsuppe Phở, Bánh Mì Pa Tê, Sữa chua, Xôi, Vịt Nướng, Bún chả, Bún Canh Cá, Bún Canh Cua, Cháo, Bún bò Huế, Rau muống, Nem, Nộm, Gà nướng, Phở xào, Bánh cuốn, Nem cuốn, Bánh bao, quẩy béo, Bánh giò, Miến Trộn,  Trà Sữa, Chè Thập Cẩm, Chè Nếp Cẩm, Trứng Vịt lộn, Lẩu.

Wenn wir zu Besuch sind, gibt es immer viele gemeinsame Familien-Essen. Wenn wir zusammensitzen, dann fühle ich mich meinen Verwandten wieder verbunden. Sie staunen manchmal darüber, dass wir Kinder mit Đũa[15] essen können. Wir können das leckere Essen gemeinsam genießen und endlich die Unterschiede zwischen uns vergessen: chiếu[16] ausrollen, uns gegenseitig cơm[17] auftun und das Essen genießen. Trotz dieses verbindenden Elements, ist eine Mahlzeit auch ein Moment der Trennung. Zum Beispiel, wenn Männer und Frauen in unterschiedliche Sitzgruppen aufgeteilt werden. Wo die Kinder sitzen, ist egal – meisten sind sie aber bei ihrer Mama.

Beim Essen werden meine Höflichkeitsnormen unter Beweis gestellt. „Cháu mời Bà, con mời bố mẹ, cháu mời các Bác, Anh, Chị ăn cơm.[18]“, ist eine Floskel, von der erwartet wird, dass ich sie ausspreche. Ich fühle mich komisch dabei es tun zu müssen und fühle nicht nur Scham, sondern auch innere Abwehr. In Deutschland muss ich das beim Abendessen nicht sagen. Doch hier in Việt Nam bei meiner Verwandtschaft zeugt es vor allem von Respekt. So fühle ich mich wieder in einem Blick von meiner Verwandtschaft gefangen, der mich abermals von ihnen trennt.
Nach dem Essen finden wir eine Gemeinsamkeit zu Tage:

Wenn wir mittags gegessen haben, machen wir alle danach gemeinsam Mittagsschlaf. Nach dem Aufstehen, gibt es dann frisch geschnittenes Obst oder Kürbiskerne zu verzehren. Wenn wir das verdaut haben und Platz für mehr ist, kaufen wir uns große Trà sữa trân châu[19] oder Chè[20].

Die letzten Tage

Die Zeit unseres Besuches schreitet immer weiter voran. Ich spüre nach und nach immer deutlicher, dass ich noch nicht bereit bin, zurück nach Deutschland zu gehen. Anfangs war ich froh, dass wir nur drei Wochen zu Besuch sind. Jetzt bekomme ich das Bedürfnis etwas länger bleiben zu wollen, schließlich hatte mich gerade an die neue Umgebung gewöhnt. Beim Wandern mit der Verwandtschaft fragt Chị Thu mich: „Fragst du dich auch manchmal wie es wäre, wenn wir hier aufgewachsen wären?“ Die Frage ist mir etwas unangenehm, aber ich sage zu ihr: „Ja. Das ist komisch.“ – „Ja, unser Leben wäre ganz anders.“ Die Vorstellung daran, in Việt Nam aufgewachsen zu sein, kommt mir fremd vor und schwer zu greifen. Insgesamt ist es aber auch eine tröstende Vorstellung für mich. Am Ende denke ich, dass wir das gleiche Leben wie das in Deutschland führen würden. Denn in meiner Vorstellung wären wir in diesem Leben auch arm. Aber ich glaube auch, dass meine Eltern ein ganzes Stück glücklicher wären. Sie sind anders, wenn wir in Viet Nam sind: sie blühen auf und wirken fröhlicher. Mich berührt dieser Anblick und macht mich gleichzeitig traurig.

Die letzten Tage in Hà Nội vergingen wie im Flug. Wir waren wieder unter uns: Mẹ Biên, Bố Long, Em Đức, Chị Thu, Cháu Mai, der Freund meiner Schwester und ich.
Wir jungen Leute verbrachten viel Zeit außerhalb des Hauses. Wir fuhren täglich nach Phố Cổ, der Altstadt und gleichzeitig das Touristen-Viertel Hà Nộis. Ich fühle mich meisten wie ein Tourist in Việt Nam. Es ist sehr stressig hier, es gibt viel Verkehr in den Seitenstraßen und den kleinen Gassen mit Fast-Food-Essen. Hier sind viele internationale Menschen. Man erkennt es daran, dass sich viele weiß-europäische Menschen hier bewegen und der Stadtteil insgesamt sehr verwestlicht wurde.

Ich denke, dass meine Geschwister und ich uns in Phố Cổ wohl fühlen, weil ich wir uns in Việt Nam meistens wie Besucher*innen fühlten. Doch ich muss mich daran erinnern, dass das auch mein Zuhause sein kann und dass mir vieles vertraut ist: meine Verwandtschaft zum Beispiel oder der BIG C Supermarkt.

Jedes Mal, wenn sich unser Besuch dem Ende naht, reden meine Eltern von unserem Haus in Hà Nội. Sie fangen an unsere Zukunftspläne für Việt Nam zu schmieden, um ihre innere Sehnsucht zu stillen. Ich erinnere mich daran, wie Mama früher in meiner Kindheit oft meinte, dass sie zurück nach Viet Nam gehen möchte. Als Kind hatte mich diese Aussage sehr verletzt. Doch je älter ich werde, desto mehr verstehe ich ihren Wunsch. Das Haus in Hà Nội, das Mama und Papa gebaut haben, ist für uns Kinder. Sie vergewissern uns, dass dieser Ort unser zu Hause ist. Beide träumen für uns, wie wir später alle drei dort leben mit unseren jeweiligen Familien.
Daher fange auch ich an, von einem zukünftigen Leben in Việt Nam zu träumen. Wie mein Leben weiter geht, bleibt unklar und offen. Doch ich kann den Gedanken nicht loslassen, dass ich in 10 Jahren in Hà Nội bin und meine Eltern besuche. Ich würde in der Zwischenzeit ihnen all ihre Wünsche erfüllt haben und sie müssten sich keine Sorgen mehr machen, um ihre eigenen Leben und deren Finanzierung. Meine Eltern und ich würden Brücken schlagen können und eine Vertrautheit zueinander finden, weil ich fließendes vietnamesisch sprechen kann. Meine Geschwister und ich werden abends zusammen essen und danach Trà sữa trân châu[21] trinken gehen. Außerdem stelle ich mir auch vor, wie ich in Hà Nội neue Freund*innen kennenlerne, mit denen ich durch die Straßen schlendere und mich über unsere Lieblingsfilme und über unsere Schwärmereien, die wir haben, unterhalte.

Dann stehe ich am Flughafen.
In Deutschland in meinem Jugendzimmer ist die Welt auf einmal sehr leise geworden. Ich bin zurück und ich werde mit Sicherheit zurückkommen.
[1] Mẹ – Mutter

[2] “Du willst mich nicht unter Druck setzen, aber ich habe das Gefuehl, dass du genau das tust. Du sagst mir, dass du mir Zeit zum Nachdenken gibst, aber jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, fragst du mich wieder“.

[3] Grosse Schwester Thu

[4] „Ja, ich habe immer Angst vor Vietnam“.

[5] “Ich fahre auch gerne nach Vietam zurueck. Aber in Vietnam versteht man die Probleme von Menschen wie mir nicht. Ich bin in Deutschland geboren, deswegen muss ich vietnamesisch und die Kultur erst lernen. Alle Menschen in Vietnam haben keine Ahnung von unserem Leben in Deutschland. Ich fahr auch gerne nach Vietnam, lerne die Sprache und so. Denn ich bin auch deren Kind.“. „Ja, du bist doch eine vietnamesische Person!“

[6] Kleiner Bruder Duc

[7] Flughafen Noi Bai in Hanoi

[8] Vater Long

[9] Grossmutter vaeterlicher-seits

[10] “Wir deine Enkelkinder begruessen dich Grossmutter“.

[11] „Ok, ich schalte einen westlichen Film an“.

[12] Tante Chi

[13] Onkel Xuyên

[14] Aerztin

[15] Stäbchen

[16] Bodenmatte aus Bambus

[17] Reis

[18] ein Floskel, um Menschen/Verwandte zum Essen einzuladen, nach Familiengrad aufgezählt

[19] Bubble Tea

[20] Traditionelle Suessspeise

[21] Bubble Tea

 

Dieser Artikel ist einer von zahlreichen Beiträgen, die bei unserem „Call for Contributions“ eingereicht wurden, aber aufgrund der begrenzten Kapazität nicht in unserer neuesten Publikation „Ist Zuhause da, wo die Sternfrüchte süß sind? Viet-deutsche Lebensrealitäten im Wandel“ abgedruckt werden konnten. Wir freuen uns, ihn hier veröffentlichen zu können.

 

Über Phu

Phu (Ha Phuong Nguyen) ist 21 Jahre alt, in Ostdeutschland groß geworden und wohnt in Leipzig. Phu ist nicht-binär/trans*, queer, Arbeiter*innenkind,versteht sich als asian und als viet-deutsche Person der 2. Generation. Phu ist politisch aktiv in Klimagerechtigkeit, Antirassismus und Queerfeminismus, nebenbei als politischer Bildungsreferent und als angehender freier Autor tätig.