Not your Vorzeigemigrant

Not your Vorzeigemigrant

 

Denkt man an Beispiele von rassistischen Vorurteilen, fallen einem zuerst negative Zuschreibungen ein. Faulheit, erhöhte Gewaltbereitschaft, Dummheit – all das sind Dinge, die einer Gruppe von Menschen, die ein beliebiges Merkmal wie das Aussehen vereint, angedichtet werden, und damit im Gegensatz zur Gruppe, mit der sich der Sprechende und Vourteilhabende selbst identifiziert, herab gesetzt werden. Von dem Gruppenmerkmal wird dann auf die Eigenschaften einer jeden Person, die von außen zu der Gruppe gezählt wird. Diese Fremdzuschreibung geschieht sehr oft bewusst („Die XX sind doch faul und wollen nur schmarotzen“), aber oft kommt das Anderssein, das Zuordnen einer anderen Person zu einer anderen sozialen Gruppe als der eigenen, auch unbewusst zum Ausdruck. Handlungen, die daraus entstehen, kommen in der Erfahrung eines einzelnen Menschen zusammen und werden nicht nur, aber ganz besonders dann problematisch, wenn die Vorurteile Handlungen und Entscheidungen von Personen in Machtpositionen beeinflussen. Dann doch lieber die Wohnung an die Person mit deutschem Namen geben, denn die XX sind ja immer so laut, bestimmt also auch die Bewerberin. Lieber doch eine Person ins Arbeitsteam holen, mit der man einen vermeintlichen Kulturkreis teilt, da ist die Kommunikation einfacher.

Doch nicht nur diese negativen Vorurteile beeinflussen das Leben von Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft o.ä. und einer daraus resultierenden Fremddefinition. Auch positive Vorurteile sind Vorurteile und rassistisch. Eine Gruppe von Menschen in Deutschland wird oft mit diesem positiven Rassismus assoziiert – die Gruppe der deutschen Asiat*innen. Die deutsch-vietnamesischen Communities sind die größten asiatischen Communities in Deutschland. Ihnen wird nicht nur, doch öfter als anderen Communities, vermeintlich wohlwollend gegenüber getreten, denn sie machten ja keinen Ärger, seinen fleißig, ruhig und blieben unter sich. Es gibt auch zahlreiche negative Vorurteile, die der kriminellen Zigarettenhändler zum Beispiel. Doch immer mehr tritt mit dem Aufwachsen der 1 1/2 und 2. Generation, Deutschen, die nach Vietnam reisen und dem Siegeszug der vietnamesischen Küche in den Berliner Straßen der positive Rassismus in den Vordergrund.

Der positive Rassismus gegenüber einer Gruppe bedeutet weitere Abwertung einer anderen marginalisierten Gruppe durch Fremdzuschreibungen. Die Vietnamesen sind doch so gut in der Schule, das zeigt doch, dass es geht. Warum kriegen es die Araber denn nicht hin mit der Integration? Dieses Ausspielen von marginalisierten Gruppen gegeneinander hat nur einen weiteren Machtzuwachs für die Mehrheit zur Folge, sie versucht, Forderungen, die die Komplexität und Kausalitäten der Wirklichkeit migrantischen Lebens ignorieren, damit zu legitimieren. Es spielen viele Faktoren eine Rolle, warum eine migrantische Community vermeintlich besser im Bildungssystem integriert ist als eine andere. Gesellschaftliche Hierarchien, Wertesysteme, Eltern-Kind-Beziehungen, die Milieus, aus denen die Familien ursprünglich stammen, aber eben auch die Vorurteile, die zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Zwei persönliche Fälle dienen hier als Beispiel. Ein Junge mit türkischen Eltern, nennen wir ihn Ahmed, sagt weist eine rasche Auffassungsgabe im Unterricht auf. Doch tut Ahmed dies in einer lauten Art und Weise und nicht im formvollendeten Hochdeutsch. Eine Gymnasialempfehlung hat er nicht bekommen. Die Begabungurde wegen der Vorurteile überhört, sozialer Aufstieg im Bildungssystem ist so kaum möglich. Auf der anderen Seite in Mädchen mit vietnamesischen Eltern, nennen wir sie Ha. Ha ist ruhig, Lernen ist nicht so ihr Ding, sie arbeitet lieber praktisch.  Ha schreibt keine Spitzennoten, doch fällt nicht weiter negativ auf und bekommt eine Gymnasialempfehlung – denn die Lehrerin denkt sich, Ha ist ja Vietnamesin (sic!), die sind doch so klug, vielleicht wird das noch was mit den Spitzennoten. Bei Ahmed wurde dieses Wohlwollen eher nicht an den Tag gelegt und auch Ha leidet darunter, weil sie ihre Stärken nicht weiter entwickeln kann. Migrantische Solidarität ist deshalb wichtig, um sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen, sondern zusammen gegen Rassismus in der Gesellschaft anzugehen, damit jede Person, ungeachtet ihres Familienhauses, ihren Stärken und persönlichen Lebenswegen nachgehen kann.

Hinzu kommt, dass positive Charaktereigenschaften wiederum wie beim Negativbeispiel einer ganzen Gruppe aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, etc. zugeschrieben werden und dann im individuellen Kontakt auf die einzelne Person der Gruppe herunter gebrochen werden. Dass jede Person eine Persönlichkeit hat und damit anders ist, sollte keine Neuigkeit sein. Jemand anderen über eine Äußerlichkeit und eine Gruppe zu definieren, nimmt der Person die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wer sie ist und wie sie sich im gesellschaftlichen Umgang verhalten möchte. Bevor sie als Person wahrgenommen wird, muss sie zunächst einmal den Abgleich mit den Vorurteilen überstehen – egal ob diese nun positiv oder negativ sind.

Und wer sagt eigentlich, dass ruhig und fleißig und unauffällig positive Charaktereigenschaften sind? Auch die Einschätzung von Charaktereigenschaften ist kulturell und sozial bedingt. Schweigen kann z.B. in der vietnamesischen Kultur als Ausdruck der Kommunikation gewertet werden, als stiller Widerstand, da offener Widerspruch in streng hierarchisierten gesellschaftlichen Strukturen nicht geduldet wird. In Deutschland wird Schweigen oft mit stiller Zustimmung assoziiert, mit fehlender eigener Meinung oder fehlendem Willen, sich zu präsentieren. Ruhige Personen sind in der Wirtschaft nicht die, die Karriere machen.  Ruhig ist vielmehr eine Rechtfertigung, jemanden nicht beachten zu müssen. Verhält sich jemand unauffällig, erhält die Person nicht meine Aufmerksamkeit, ich muss mich mit der Person und ihren Problemen nicht auseinandersetzen, da ich sie entweder nicht kenne, oder sie im lauten Rauschen der Probleme um mich herum untergehen. Das führt in Deutschland bei den deutsch-vietnamesischen Communities z.B. dazu, dass kaum über die starke Verbreitungen von psychischer Belastung und Erkrankungen von vietnamesischen Schüler*innen gesprochen wird. Die Erwartungshaltung, die fleißigen deutsch-vietnamesischen Jugendlichen bringen Spitzennoten, bedeutet eine große seelische Belastung für die, die nicht mit diesem Vorurteil übereinstimmen. Depressionen und sogar suizidale Neigungen sind ein Problem bei deutsch-vietnamesischen Jugendlichen.

Warum weiß kaum jemand davon? Spricht wirklich niemand darüber oder hört nur niemand zu? Dies ist eine generelle Frage der Wahrnehmungen und verschiedener Realitäten. Es gibt vietnamesische Vereine, Initiativen und Netzwerke. Manche von ihnen sind politisch. Auch gibt es einzelne Menschen aus den deutsch-vietnamesischen Communities, die sich engagieren. Trotzdem entsteht das Bild, vietnamesische Migrant*innen würden sich nicht am gesellschaftlichen und politischen Leben beteiligen. Doch das tun sie, sie formulieren ihre Probleme. Nur passiert dies oft außerhalb der in Deutschland etablierten Netzwerke. Es gibt z.B. keine deutsch-vietnamesischen Parteipolitiker*innen an vorderster Front. Die Gründe hierfür können auch vielfältig sein, z.B. die Erfahrung mit Parteien in Vietnam oder das schwer-verständliche Partei-Deutsch. Doch nur weil etwas auf eine andere Art und Weise passiert, heißt es nicht, dass es gar nicht passiert.  Von wem werden existierende Initiativen (z.B. Die Initiative Chau und Lan, Danke Deutschland, Rice and Shine) gehört, wahrgenommen, weitergegeben, zitiert, unterstützt? Ein Problem ist für die Initiativen weiterhin, bei finanziellen Töpfen von Integrationsbeauftragten mitgedacht zu werden, auch wenn sie nicht in die, oft von deutsch-strukturierten Behörden, vorgegebenen Förderkriterien passen. Dafür muss die deutsche Mehrheitsgesellschaft die Vorurteile vergessen, sich solidarisieren und Probleme öffentlich thematisieren, die vielleicht nicht die persönlichen, aber durchaus die gesellschaftlichen Herausforderungen sind.

Zumal gut in der Schule, im Studium oder auf der Arbeit zu sein nicht bedeutet, „angekommen“ und „integriert“ zu sein. Denn dies ist immer ein Prozess von zwei Seiten. Auch die deutsche Mehrheitsgesellschaft muss sich und ihre Vorstellungen davon, was deutsch ist, ändern. Denn egal wie fließend du deutsch sprichst, ob du hier geboren bist und ein Spitzenabi (oder tolle Karriere) hingelegt hast. Wenn dich dann trotzdem jede Woche mindestens eine Person fragt, wo du denn eigentlich herkommst und warum du so gut Deutsch sprichst und Niederbayern als Herkunftsort keine gültige Antwort ist, wird es immer schwer sein, endgültig „anzukommen“ – vor allem, weil du ja nie von irgendwo losgegangen bist. Positiver Rassismus negiert somit Rassismuserfahrungen und tut so, als wäre alles wunderbar. Doch das ist es zwischen Witzen über China, Stäbchen und Aussehen ganz und gar nicht.

Deswegen ist es wichtig, daran zu erinnern, dass auch positiver Rassismus Rassismus ist. I am #notyourvorzeigemigrant